Mareike geht nach Belgien, das sagt sie zwischen zwei Zigarettenzügen, Miri ist in der letzten Bewerbungsrunde für Holland, Chancen stehen Fifty-Fifty. Matthias zieht nach Krefeld, dann hat er's nicht mehr so weit zum Job. Sebi hats nach Ludwigsburg geschafft, endlich, Martn und Dani wohnen schon länger in Düsseldorf und Larsiboi brummelte am Tag zuvor auch was von München oder so. Als ich entsetzt rufe: aber, das könnt ihr doch nicht machen, sagen die: du bist doch die, die nach Berlin gegangen ist!
Dann stoßen alle an, weil Mareike es nach Belgien geschafft hat und Matthias sagt, wir sollten uns von jetzt an jedes Jahr am 3. Oktober in Köln treffen. Aha.
Scheinbar bin ich die einzige, die den Rest des gemeinsamen Grillfestes, Trink- und Nachtischtags schlechte Laune hat. Alle anderen freuen sich über "unseren letzten gemeinsamen Nachmittag". Und in den bin ich ja sogar nur so reingestolpert, weil ich zufällig in der Stadt war. Wir breiten uns überall aus, freuen sich die anderen, und später können wir dann auch sagen, ach, da kenn ich einen alten Studienkollegen, den ruf ich mal an.
Wer ist denn dann überhaupt noch da? arbeitet es in meinem Hirnfrontallappen. Die 2 Johannese, Josa und Mel, Moritz, Adrian, aber der lost jedes Jahr um die Greencard und wird bestimmt eines Tages Glück haben, hm... lautet die magere Ausbeute.
Abschied also, und das schon zum verdammten 2. Mal! Das hat mir niemand gesagt, als ich mir mit 19 nach dem Abi mit Kathi, Caro, Geli und Tanni in den Armen lag und unsere Tränen der jeweils anderen den Rücken hinunterliefen: Genau dasselbe wirst du in fünf Jahren wieder erleben. Dem Abschied der Schulfreundinnen folgt der Abschied der Studienfreunde und während es Kathi, Caro, Geli, Tanni und mich damals in alle Winde Deutschlands verschlug, nach Berlin, Regensburg, Jena, Kaiserslautern und Köln, zieht es meine Studienfreunde in die Wissenschaft, ins Ausland, in den Journalismus, ins Filmbiz, in den Hafen der Ehe - nirgendwohin jedenfalls, wo nicht volle Terminkalender oder Windeln auf sie warten.
Überall WG-Auflösungen, die Wände, an die wir in unseren ersten Semestern Bier und Sperma gespritzt haben, werden überstrichen. Die aktuellen WG-Partys heißen nicht mehr "Spießer und Streber" oder "How I LOST your Battlestar Galactica", sondern "End of all things". Die geplanten Revivals, künftige Hochzeitseinladungen und eben dieser 3. Oktober jedes Jahr können mich nicht trösten. Ich kenn das von den Treffen an Weihnachten mit Kathi, Caro, Geli und Tanni. Caro und Tanni haben sich irgendwann nach dem Abi wegen einem Typen zerstritten, Kathi fühlt sich mit ihrem Studienfach von Caro nicht ernst genommen, Geli ist ein verrückter Punk geworden, nur ich bin halbwegs normal. Die Treffen an Weihnachten sind von mir aus alles mögliche, aber nicht mehr dasselbe.
Ja, es stimmt! Ich war die erste, die weggegangen ist. Und natürlich war ich manchmal eifersüchtig, weil die anderen immer noch alle zusammen da waren und am wenigsten wollte ich, dass irgendeine komische neue Freundin auf einmal mit meinen Freunden rumhing. Aber jetzt, da das wie alle guten Dinge zu einem Ende kommen soll, merke ich, wichtiger war es, diese Base zu haben. Base 2 nach Base 1: Mama und Papa. Meine Leute in Köln. Und da ich weg war, war es gut zu wissen, wenn ich zurückkomme, dann sind sie verdammtnochmal wenigstens alle da. Und weil sie die Alten sind, kann ich auch die Alte sein und mich wieder still dazusetzen und sie beobachten, oft lachen und nur wenn einer genauer nachfragt, erzählen von dem neuen Leben in Berlin, Base 3?
Wenn ihr Ökomuttis oder Spießer werdet und wenn ihr mich eines Tages nicht mehr mit einem gutgelaunten Nerd-Five begrüßt, wenn ich am 2. Oktober 2061 auf meiner Hyperbox eure Absagen höre, dann gibt's sowas von Ärger! So könnte man jetzt vielleicht ein versöhnliches Ende finden, aber das würde es wohl nur verharmlosen, dass die Zeit eben leider einfach vorbei ist.