Mittwoch, 7. September 2011

Berlin neuerdings ganz höflich

Als ich heute ausgerechnet auf der Achse des Bösen (U8 Neukölln=>Wedding) unterwegs war, bekam ich plötzlich Angst, dass sich meine neue Heimat verändert hatte, ohne mir was zu sagen, während ich im Urlaub war. Es heißt schließlich immer, Berlinberlin sei unter anderem so toll, weil es so wandelbar sei.
Statt grölender Atzen, Handymucke und dem Penner mit dem amputierten Stinkefuß, tippte mir nämlich ein chinesisches Mädchen, das neben mir in der U-Bahn saß auf die Schulter, sanft wie ein Schmetterlingsflügelschlag, sodass ich es beim ersten Mal gar nicht bemerkte und sie noch ein wenig Feenstaub hinzuzaubern musste. "Entschuldigen Sie bitte, ich wollte nur fragen, ob man in Berlin in der U-Bahn trinken darf?" fragte sie dann. Ich war ganz perplex. "Also, wie meinst du das denn jetzt, so richtig offiziell? Meinst du Alkohol oder...? Nein, also offiziell ist es glaube ich nicht erlaubt", sagte ich. "Man muss Strafe zahlen?" fragte sie. "Ähh... offiziell wahrscheinlich schon." Sie nickte verstehend: "Ja, wegen der Sauberkeit, natürlich." Ein bisschen blass war sie um die Nase. Und da checkte ich erst, dass das gar keine allgemeine Frage war, die eine Touristin stellte, weil sie die Gepflogenheiten einer Stadt näher kennen lernen, Kulturen miteinander vergleichen wollte und dass sie auch keine Spionin der BVG war, sondern dass sie akut Durst hatte. "Achsooo!" rief ich, "nein nein, also natürlich kann man was trinken in der U-Bahn. Also man wird da nicht erwischt. Hey, wir sind in Berlin. Selbst wenn das jemand sehen würde, dann wird man verwarnt. Und wenn es kein offenes Getränk ist, dann sowieso nicht, also... nein!"
Natürlich hatte ich sie jetzt völlig verwirrt. Aber der Durst war so groß, dass sie sich zu beiden Seiten bedächtig umsah, heimlich ihre Sprudelflasche im Rucksack aufdrehte und dann, wie die New Yorker ihr Bier aus den Papiertüten trinken ihren Sprudel aus dem Rucksack trank. Wie eine Elfe. Sie wurde nicht erwischt.